"Sound of Freedom"ist schon jetzt einer der erfolgreichsten unabhängig produzierten Filme der jüngeren Vergangenheit. Vergleichsweise kostengünstig lag sein Budget bei 14 Mio. Dollar. An die 300 Mio. hat er seit seinem US-Start am 4. Juli dieses Jahres eingespielt. Diese Summe ist nicht einfach nur eine Erfolgsgeschichte, sondern Teil des Politikums, das der Film (geworden) ist. Erzählt wird die fiktionalisierte Lebensgeschichte des ehemaligen CIA- und Homeland-Security-Agenten Tim Ballard, der Kinder aus einem international agierenden Sexhändlerring rettet. Im echten Leben hat der Dargestellte mehrfach Menschenhandel mit satanischen Ritualen in Verbindung gebracht, und auch sein Darsteller im Film, der erzkonservative Jim Caviezel, hat im Zuge der Promotion eben solche Zusammenhänge ins Spiel gebracht. Aufgrund seines Themas und solcher Ermutigungen erfreute sich "Sound of Freedom"im Zirkel der QAnon-Verschwörungstheorien (Deep State, Ring satanischer Pädophiler, aus Kindern gewonnenes Verjüngungsserum usw) größter Beliebtheit.
Zugleich betreibt der Vertrieb Angel Pictures offensiv ein auf den Kopf gestelltes Crowd Funding - beziehungsweise eine extreme Form von Mund-zu-Mund-Propaganda. Im Abspann des Films wirbt Caviezels tränenreich dafür, dass jeder, der von Film und Anliegen überzeugt ist, für andere Tickets kaufen und verschenken kann. Ein QR-Code zur entsprechenden Funktion ist direkt von der Leinwand scannbar. Zwangsläufig steht dadurch zur Disposition, inwieweit die phänomenalen Einnahmen aus tatsächlichem Zulauf von Zuschauern generiert sind, und nicht nur aus pro forma gekauften, nie eingelösten Eintrittskarten, die den Film demonstrativ pushen sollen und ihn zum MAGA-Event machen.
Der Wirbel um den Film ist ihm selbst nicht anzumerken. Weder werden Regierungskreise und graue Eminenzen mit Kinderhandel und -entführung in Verbindung gebracht, noch geht es um Satanismus. Stattdessen eine einfache Geschichte. Ein Undercoveragent möchte nicht mehr nur Täter fassen, sondern auch Kinder retten. Der Haken: Diese befinden sich nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Weshalb er Ausnahme auf Ausnahme erwirkt, bis er irgendwann auf sich allein gestellt im Dschungel agiert. Immer das hohe moralische Ziel vor Augen, Kinder zu retten. Es könnte ja das eigene sein.
Drei Sting-Operationen wohnen wir in den etwas mehr als zwei Stunden Laufzeit bei. In den USA wird ein ertappter Päderast dazu gebracht, seine Verbindungen spielen zu lassen und ein Kind zu "bestellen". Danach wird auf einer kleinen Insel vor der Küste Kolumbiens ein Luxusbordell eingerichtet, um eine größere Lieferung Kinder aus den Händen eines Kinderhandelrings zu befreien. Zuletzt fährt Caviezel einen Fluss im südamerikanischen Urwald hinauf, um das Kind, dessen Entführung wir zu Beginn bezeugen durften, aus dem Herz der Finsternis zu befreien und die volle Ladung Katharsis auszukosten.
Diese Sehnsucht nach der totalen Katharsis ist es, die "Sound of Freedom"auszeichnet, die dem Film aber auch wie ein Klumpen Blei am Bein hängt. Als Thriller ist er in allen seinen drei Iterationen behäbig und plump. Es geht schlicht um das Böse in der Welt, das entweder schnell am Hinkefuß erkannt ist oder sich förmlich die Lippen leckt, wenn Kinder den Raum betreten. Um Kinder, die aus einem himmelsgleichen Zustand der Unschuld geraubt werden und in einer Hölle landen, die vom Film nur angedeutet wird. Und um Kreuzritter, die tun, was getan werden muss, die alle ihren Ballast mit sich herumtragen und deshalb die Welt zu etwas Bessserem machen müssen, oder die in Gestalt von Ballard den ganzen Film lang konsterniert am Zustand der Welt leiden.
Das Problem ist dabei nicht, dass die Welt des Films auf derart schlichte Art aufgebaut ist, sondern dass diese Schlichtheit sein einziger Ausdruck und sein Ziel ist. "Sound of Freedom"möchte nur bedingt spannend, kreativ oder ein guter Thriller sein, er möchte vor allem anderen sein Sentiment ausstellen. In jeder Sekunde geht es darum, mit Betroffenheit alles andere wegzudrücken. Die Einfachheit des Themas - Kinder zu entführen und zu misshandeln ist schlecht, wer kann schon dagegen argumentieren - setzt einen Modus der Weltwahrnehmung absolut. Weshalb wir es letztlich mit einer einzigen, großen Spendenkampagne zu tun haben.
Am bedrückendsten ist der Umgang mit Kindern. Die sind entweder von Engelschören begleitete Unschuld oder von trauriger Musik untermalte Opfer schlechter Menschen. Und unmittelbar nach ihrer Rettung kehren sie in den Zustand der Unschuld zurück. Monate und Jahre des Missbrauchs sind einfach weggewaschen, wenn sie nach ihrer Befreiung umgehend wieder hüpfen, breitgrinsend Klatschspielen nachgehen und, für den vollen Wohlfühleffekt, dem Klischeebild einer glücklichen Kindheit entsprechen. Dafür, dass der Film so offensiv vor sich her trägt, dass es ihm um die Kinder geht, ist es erschreckend, wie wenig er sich für sie interessiert, wie sehr er sie lediglich als Werkzeug benutzt.
Einzig am Ende, wenn ein Vater mit seinen zwei Kindern nach Hause fliegt, steht im Raum, dass es Zustände zwischen Paradies und Hölle geben könnte, dass es etwas unter Oberflächen plumper Manipulation gibt. Denn die drei sitzen nicht zusammen, vielmehr liegt der Mittelgang der Passagierkabine zwischen ihnen, über den hinweg sie sich angrinsen, aber der sie unendlich trennt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass "Sound of Freedom" mehrmals versucht nahezulegen, dass die Befreiung von Kindern die beste Droge der Welt ist. Weshalb Ballard seine eigene Familie hinter sich lässt - die Realität alltäglicher Familienprobleme wäre schlicht zu ambivalent -, um die Kinder der Welt zu retten. Die Suchtwirkung des Films liegt eben darin, die Ambivalenzen und Unwägbarkeiten unserer Welt zu betäuben und einen simplen, leicht nachvollziehbaren, moralisch richtigen Grund zum Leben zu servieren. Was sicherlich auch ein Grund für den Erfolg dieses sentimentalen Gefühlspornos ist.
Robert Wagner
Sound of Freedom - USA 2023 - Regie: Alejandro Monteverde - Darsteller: Jim Caviezel, Mira Sorvino, Bill Camp, Cristal Aparicio, Javier Godino - Laufzeit: 131 Minuten.